Mit modernen gentechnischen Verfahren veränderte Lebensmittel sollen künftig in der EU ohne besondere Kennzeichnung in Supermärkten verkauft werden können. Unterhändler aus 27 EU-Staaten und dem Europaparlament einigten sich in Brüssel darauf, entsprechende Rassen in vielen Fällen von den bisher strengen EU-Gentechnikregeln auszunehmen, wie beide Seiten am Donnerstagabend mitteilten. Der Zweck dieser Änderungen besteht darin, sicherzustellen, dass mehr neue Pflanzensorten auf den Markt kommen.
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Die neuen Vorgaben müssen noch vom EU-Parlament und den EU-Staaten bestätigt werden. Dies ist in der Regel eine Formsache, wenn sich die Verhandlungsführer der Organisationen zuvor auf eine Einigung geeinigt haben. Die Regeln betreffen sogenannte New Genomic Techniques (NGT). Dazu gehören eine begrenzte Anzahl gentechnischer Eingriffe – beispielsweise die „Genschere“ von Crispr-Kass – die laut EU-Kommission die konventionelle Züchtung nur beschleunigen.
Nach Ansicht der Teilnehmer beider Seiten sollten diese Sorten nur auf dem Saatgut als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Darüber hinaus müssen vor der Genehmigung Umwelttests abgeschlossen sein. Diese sind so kompliziert, dass die Genehmigung so teuer ist und so lange dauert, dass sie sich oft nicht lohnt.
Ich hoffe auf besseres Obst und Gemüse
Befürworter hoffen, dass diese Veränderungen zu ertragreicheren, klimaresistenteren, nährstoffreicheren Obst- und Gemüsesorten führen und weniger Dünger benötigen. Wissenschaftler versprechen sich von den gelockerten Auflagen auch eine Erleichterung der Forschung. In anderen Regionen der Welt gelten bereits lockerere Regeln, weshalb Parlamente und Vertreter der EU-Staaten auf eine bessere Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte drängen. Die Vorschläge stießen daher im Agrarsektor auf Zustimmung.
Kritiker fordern unter anderem, dass Verbrauchern die Freiheit gegeben werden soll, selbst zu entscheiden, ob sie solche Lebensmittel verzehren wollen oder nicht. Österreichische EU-Parlamentarier kritisieren die Neuregelung: Bei der Abstimmung über die Parlamentsposition vor einem Jahr, also in der letzten Legislaturperiode vor der EU-Wahlen, stimmten die anwesenden österreichischen Vertreter mit Ausnahme der NEOS mit Nein.
Bei Treffen mit seinen EU-Kollegen vertrat Landwirtschaftsminister Norbert Toschnig (ÖVP) stets die Position Österreichs für Wahlfreiheit und Kennzeichnungspflicht. Er äußerte seine Befürchtung, dass die ursprünglichen Vorschläge der Kommission große Konzerne begünstigen und die relativ kleine Landwirtschafts- und Saatgutindustrie gefährden könnten. Zu der nun erzielten Einigung sagte Totsnig, dass die entschlossene Haltung Österreichs bestehen bleibe, „weshalb wir unsere Zustimmung nicht geben werden.“ Verbraucher sollten die Wahlfreiheit haben und daher ist eine klare Kennzeichnung unerlässlich.
Gelockerte Anforderungen an die Patentierbarkeit
Der vereinbarte Entwurf sieht außerdem gelockerte Anforderungen zur Regelung der Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Pflanzen und der Patentierbarkeit von Technologien auf den Feldern vor. Der ökologische Landbau soll auch in Zukunft gentechnikfrei bleiben. Allerdings dürfe nach Ansicht des Parlaments nicht dagegen verstoßen werden, wenn es um die „technisch unvermeidbare Präsenz“ der Gentechnik gehe.
Theoretisch sind mit der Genschere sowohl kleine als auch deutlich große Eingriffe möglich. Für weitere Eingriffe in Pflanzen gelten auch in Zukunft strengere Regeln – etwa wenn Gene einer anderen Art in die Pflanze eingebracht werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Gene eines Bakteriums in eine Maispflanze eingeschleust werden.
Kritik und Freude
In der Sendung vom Donnerstag reagierte die ARGE Gentechnik-Frei mit Kritik auf den Abschluss der Trilogverhandlungen. Dies sei „überstürzt, intransparent und unter großer politischer Drohung“ erfolgt. „Dieses Ergebnis spiegelt weder die Interessen der europäischen Landwirtschaft noch die Erwartungen der Lebensmittelindustrie und der Verbraucher wider“, erklärte Florian Faber von der ARGE Gentechnik-Frei.
Heinz Fassmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), zeigte sich jedoch in einer Stellungnahme zufrieden: „Dafür kämpft die Wissenschaft seit Jahren. Die Lockerung ist ein wichtiger Fortschritt für die Forschung. Jetzt werden die großen Chancen neuer gentechnischer Methoden erkannt.“ Dies könnte laut Faßmann dazu beitragen, die Folgen des Klimawandels wie Dürre und Ernteausfälle besser zu bewältigen.
Ich hoffe auf eine endgültige Abstimmung
Laut der Agrarsprecherin der Grünen, Olga Voglauer, ist die Einigung eine „schlechte Nachricht für den ländlichen und ökologischen Landbau“. Es handelt sich um eine völlige Missachtung des Vorsorgeprinzips und eine Kapitulation vor den Interessen der Agrarindustrie. „Eine abschließende Abstimmung im Europäischen Parlament und im Rat steht noch aus. Es gibt eine letzte Chance, diesen faulen Kompromiss zu stoppen.“
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Auch Greenpeace sprach sich gegen das Abkommen aus und wies in einer Pressemitteilung darauf hin, dass NGT-Anlagen als Erfindung gelten und patentiert werden können. Auf diese Weise können Saatgutunternehmen ihre Marktmacht auf Kosten der Landwirte sowie kleiner und mittlerer Züchter ausbauen. Während der Bio-Anbau um seine Existenz bangen muss, weil gentechnisch verändertes Saatgut keine Feldgrenzen kennt, warnte Global 2000 vor möglichen Klagen großer Konzerne wegen unerlaubter Nutzung.