Eine Reihe von Skandalen rund um eine Jugendstrafanstalt in Budapest weitet sich immer weiter aus und setzt die ungarische Regierung unter Druck. Hierzu zählen unter anderem sexuelle Ausbeutung, Prostitution und Gewalt. Der Schutz von Kindern ist seit dem erzwungenen Rücktritt von Präsidentin Katalin Novak im Februar 2024 aufgrund der Begnadigung eines Unterstützers eines Täters eines der brisantesten Themen in der ungarischen Politik.
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Im Fall der Jugendstrafanstalt in der Budapester Szölö-Straße kommen immer neue, schockierende Details ans Licht. Es gibt immer wieder neue Festnahmen und Videos, die brutale Gewalt dokumentieren. Die Vorwürfe wurden von investigativen Quellen und Oppositionspolitikern öffentlich gemacht. Auch in den Medien kursierten Spekulationen über eine mögliche Beteiligung von Regierungsmitgliedern an Missbrauchsvorfällen.
Ehemaliger Direktor bei U-Haft
Zeugenaussagen belasteten den ehemaligen Direktor des Instituts, Peter Paul Juhasz, der im Mai wegen des Verdachts des Missbrauchs, der Nötigung ehemaliger Häftlinge zur Prostitution, des Menschenhandels und der Geldwäsche festgenommen wurde. Juhas war von 2011 bis zu seiner Verhaftung Leiter der Organisation. Auch ein Mitarbeiter sitzt in Untersuchungshaft. Sie soll Möbel aus Juhasz‘ Büro entfernt und damit Spuren beseitigt haben, die mit Sexualverbrechen in Zusammenhang stehen könnten.
Unter Berufung auf Quellen in der Staatsanwaltschaft kommen den Medien zufolge immer wieder neue Details ans Licht, darunter der sexuelle Missbrauch mehrerer minderjähriger Jungen durch Juhas. Gleichzeitig wurden weitere Anklagen gegen Juhasz und seinen Partner erhoben. Nun stehen sie im Verdacht, durch Immobilien- und Autokäufe 100 Millionen Forint (260.125,38 Euro) an Prostitutionserlösen zu waschen.
Für Missbrauch gibt es keine Strafe
Missbrauchsfälle in der Szölö-Straße waren schon lange bekannt, ein ehemaliger Mitarbeiter des Instituts berichtete jedoch, dass sie aus Angst vor dem ehemaligen Direktor nie öffentlich gemacht wurden. Ein Regierungsbericht über Missbrauch in ungarischen Kinderheimen aus dem Jahr 2021 reicht mit knapp 3.000 Missbrauchsverdachtsfällen noch weiter zurück. Der Bericht wurde von der größten Oppositionspartei TISZA veröffentlicht. Die Zahl entspreche einem Fünftel aller Minderjährigen in staatlicher Obhut, hieß es.
Der umfragebasierte Bericht wurde im Jahr 2022 an die betroffenen Behörden versandt. Mangels Beweisen wurde keine Anklage erhoben, was nun bei Polizei und Staatsanwaltschaft scharfe Kritik hervorruft. Laut Analysten könnte der Bericht der Popularität von Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei im Vorfeld der Parlamentswahlen im April 2026 schaden.
Massiver Einsatz von Polizei und Staatsanwaltschaft
Anfang Dezember wurde unter Aufsicht des Kinderschutzes eine Großaktion in der Szolow-Straße durchgeführt. Der Interimsdirektor der Organisation, Karoly Kovacs-Buna, wurde festgenommen. Er wurde nach der Verhaftung von Juhas ernannt. In dem veröffentlichten Video schlägt der Regisseur den Kopf eines Häftlings gegen einen Tisch und tritt dem Jungen in den Bauch, während er auf dem Boden liegt. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft beläuft sich die Gesamtzahl der Tatverdächtigen damit auf sieben. Sie stuft die mutmaßlichen Übergriffe als Amtsmissbrauch und Gefährdung Minderjähriger ein. Dies kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Obwohl die rechtsnationale Regierung zunächst behauptete, dass an den Vorfällen keine Minderjährigen beteiligt gewesen seien, stellte sich heraus, dass das Gegenteil der Fall war. Jungen in der Einrichtung sollen von ihren Betreuern systematisch schikaniert worden sein. Zeugenaussagen zufolge wurden die Jungen durch Haftstrafen zu verschiedenen sexuellen Praktiken gezwungen.
Skandale werden für Orbán zum Problem
Angesichts des sich ausweitenden Skandals steht Orbáns Regierung unter Druck. Im September sprach Justizminister Bens Tusson von der Beteiligung „ausländischer Geheimdienste“ und einer gut organisierten Hetzkampagne, während Orbán die Vorwürfe als „Angriff auf den Staat“ und „geopolitische Verschwörung“ bezeichnete.
Am vergangenen Samstag gab es jedoch den ersten Blitz. In einem Interview mit dem regierungsnahen Online-Portal „Mandiner“ äußerte sich der Premierminister zum Missbrauchsskandal bei den Reformen. Selbst junge Menschen, die „schwere Straftaten“ begehen, sollten nicht auf die im Video gezeigte Weise behandelt werden. Der Premierminister bestand darauf, dass wegen der Aufzeichnung ein Verbrechen registriert worden sei und es nichts zu beschönigen gäbe. Die Beamten werden nun die Vorfälle untersuchen, aufklären und ahnden.
Von der Polizei betriebene Jugendstrafanstalten
Laut Orbán gibt es in Ungarn fünf solcher Einrichtungen, mit deren Leitung Innenminister Sándor Pinter kürzlich Polizisten beauftragt hat. „Ich musste die Aufsicht über diese Einrichtungen von der Sozialverwaltung auf den Strafvollzug übertragen, wo es in Bezug auf Jugendgefängnisse und Justizvollzugsanstalten mehr Regelmäßigkeit gibt. Ich erwarte, dass die Polizisten dort für Ordnung sorgen“, sagte Orbán.
Richter und Anwälte bezeichneten die Praxis, diese Einrichtungen unter polizeilicher Kontrolle zu halten, als „technisch inkonsistent“ und „rechtlich besorgniserregend“. Nach Ansicht der Ungarischen Kriminologischen Gesellschaft sollten wir uns jetzt auf echte, technisch fundierte Lösungen und den Schutz von Kindern konzentrieren, anstatt Konflikte auf gesellschaftlicher Ebene eskalieren zu lassen, zitiert das Online-Portal „hvg.hu“.
Kritik am Kinderschutzgesetz
Im Jahr 2021 sorgte Ungarn auch mit der Verabschiedung eines Kinderschutzgesetzes für internationales Aufsehen. Für Kritiker ist das Gesetz nichts anderes als ein politisches Vorgehen gegen LGBTQI-Menschen. Das Gesetz verbietet die Bereitstellung von Inhalten, die „Abweichungen der Geschlechtsidentität bei der Geburt, Geschlechtsumwandlung und Homosexualität fördern oder darstellen“, für Jugendliche unter 18 Jahren. Gleiches gilt für „Darstellungen von Sexualität als Selbstzweck“ in Büchern und anderen Medien. In diesem Sinne hat Orbán wiederholt seine Kinderschutzpolitik gelobt und argumentiert, dass er als Vater und verantwortungsbewusster Bürger handeln werde, um die nächste Generation zu schützen.
Schweigemarsch zum Schutz der Kinder
Unter dem Motto „Lasst uns unsere Kinder beschützen“ marschierten am Samstag Tausende Menschen schweigend zum Hauptquartier von Orban und Präsident Tamas Sulyok auf dem Budaer Burgberg. Teilnehmer protestierten gegen die Missbräuche in der Szölö-Straße und die „Lügen der menschenverachtenden Orbán-Regierung“. Die Aktion wurde von der TISZA-Partei des Oppositionsführers Peter Magyar organisiert. Der politische Aufstieg des ehemaligen Fidesz-Anhängers und Ex-Ehemanns von Ex-Justizministerin Judit Varga begann im vergangenen Jahr im Zuge des Kinderschutzskandals um Ex-Präsident Novak.
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