Christoph Wiederkehrs Amtsantritt als Stadtrat im Jahr 2020 war kein leichtes Ressort. Der erste Neos-Vizebürgermeister Wiens war für die Themen Integration und Bildung zuständig, die insbesondere in der Bundeshauptstadt eng miteinander verknüpft sind. Während Wiederkehrs Amtszeit stieg die Zahl der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen, und die Familienzusammenführung von Flüchtlingen brachte die Schulen an ihre Kapazitätsgrenzen. Wiederkehr konnte das Kindergartenbudget erhöhen und Orientierungsklassen für Flüchtlingskinder ohne Erfahrung im Schulalltag einrichten; In anderen Bereichen mussten sich die Stadträte auf die Berufung an den Bundesminister für Bildung beschränken.
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Wiederkehr ist jetzt selbst Bildungsminister und der erste seiner Partei, der Bildung von Anfang an zu seinem Hauptanliegen gemacht hat. Derzeit werden mehrere Maßnahmen vorbereitet oder umgesetzt, darunter Verwaltungsstrafen für unkooperative Eltern, zusätzliche Stellen für die Deutschsprachförderung sowie eine flexiblere oder verpflichtende Unterstützung von Studierenden im Falle einer Suspendierung. Wiederkehr schickte am Mittwoch einen Entwurf für eine verpflichtende Sommerschule für Kinder mit Deutschschwächen zur Begutachtung, die im Jahr 2026 aber nur für die Gruppe mit den geringsten Deutschkenntnissen gelten soll. Am Donnerstag wird Wiederkehr eine „Keynote“ über Herausforderungen im Bildungssystem halten.
Der Lehrermangel und die Förderung der deutschen Sprache sind eine der größten Baustellen
Der Bildungspsychologe Christian Spiel identifiziert drei Hauptproblemfelder. Einerseits besteht ein anhaltender Mangel an ausgebildeten Lehrkräften. Spiel sagt: „In dem System studieren mittlerweile viele Menschen, die ihr Studium noch nicht abgeschlossen haben.“ Das führt zu einer Deprofessionalisierung des Berufs und vermittelt die Botschaft, dass die Ausbildung nicht so wichtig ist.
Gleichzeitig gebe es je nach Schulstandort „sehr unterschiedliche Lern- und Förderbedingungen“, sagt Spiel. In ländlichen Gebieten gibt es oft kleine Klassen, in denen die meisten Kinder Deutsch als Muttersprache haben, während es in Wien oft große Klassen gibt, in denen viele Kinder Sprachdefizite haben. Daher hält Spiel den Opportunity Index der Regierung, der darauf abzielt, Schulen mit besonderen Herausforderungen zusätzliche finanzielle Unterstützung zu gewähren, für sinnvoll.
„Strukturelle Probleme werden nicht angegangen“
Allerdings habe die Politik kein grundsätzliches Problem auf dem Schirm, beklagt Mario Steiner, Bildungsexperte am Institut für Höhere Studien (IHS). „Wir sehen eine Zunahme der Bildungsarmut: eine wachsende Zahl von Menschen, die nicht über Grundkenntnisse verfügen.“ Aus seiner Sicht ist eine Flexibilisierung des Lehrplans sinnvoll, so dass Studierende sich länger an Grundkompetenzen halten müssen, während diejenigen, die leichter lernen, weiterführende Module absolvieren können. „Für junge Leute, die die Grundrechenarten nicht beherrschen, macht es keinen Sinn, sich mit Gleichungen auseinanderzusetzen“, sagt Steiner. Im Regierungsprogramm fehlen jedoch diesbezügliche Bemühungen. „Einige Anpassungen werden vorgenommen, aber die strukturellen Probleme werden nicht angegangen.“
Selbst auf Seiten der Lehrergewerkschaft ist die Ungeduld gegenüber der rosafarbenen Bildungsministerin sichtbar. „Es gibt viel Werbung, es gibt viel Initiative“, sagt Paul Kimberger, Präsident der Teachers of Compulsory Schools. Von einer offensichtlichen Entbürokratisierung der Schulen ist jedoch noch nichts zu spüren – stattdessen können Maßnahmen wie Kopftuchverbote oder Suspendierungsbeihilfen zu zusätzlichen Belastungen für die Schulen führen. Er hält beide Vorhaben grundsätzlich für richtig, viele Fragen bleiben jedoch offen. „Sie werden keine Schule finden, die sich schon jetzt erleichtert fühlt“, beharrt der Lehrervertreter.
„Im Bildungssektor brauchen Reformen Zeit“
Zum schwarz-rot-rosa Regierungsprogramm gehörten Entbürokratisierungen, etwa der Ausbau von Ganztagsschulen und die Stärkung der Schulautonomie. Der rosafarbene Bildungsminister plant außerdem, an großen Schulen das mittlere Management einzuführen oder demokratische Bildung als eigenes Schulfach zu etablieren. Wird es ausreichen, um den Herausforderungen im österreichischen Schulsystem gerecht zu werden? Das werde mit der Zeit nur klarer, sagt Spiel. „Im Bildungsbereich braucht die Umsetzung von Reformen immer Zeit.“
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